Libanon: Von der Strasse auf die Schulbank

Libanon : Von der Strasse auf die Schulbank

In Beirut hat der Herbst Ende November noch nicht sein letztes Wort gesprochen. In einer Gasse entfernt sich ein Junge in einem schwarzen Sweatshirt barfuss in Sandalen mit einem Wagen, auf dem sich ein Haufen grauer Säcke türmt, von den Müllcontainern. Er schiebt seine Ladung in Richtung einer Sortierstelle, wo andere Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich unter dem gleichgültigen Blick der Autofahrenden zu schaffen machen. Wir sind in Al Nabaa, einem Armenviertel im Norden der Hauptstadt des Libanon. Überall in der Stadt durchwühlen, sortieren und sammeln Kinder Abfälle, die sie zu offenen Mülldeponien transportieren, wo sie ein paar zehntausend libanesische Pfund dafür erhalten. Kaum genug, um das tägliche Brot für ihre Familien zu kaufen.

Von der Strasse auf die Schulbank
Von der Strasse auf die Schulbank

Die meisten Kinder arbeiten im Stadtteil Al Nabaa. Hier befindet sich der größte Verkaufsstandort für Plastik und Aluminium.

Auf einer dieser Mülldeponien ist Hany Atmeh, einem Sozialarbeiter bei Terre des hommes, die elfjährige Lara* aufgefallen. «Ich hatte die Idee, direkt auf die Mülldeponien zu gehen. Die Kinder, denen ich dort begegne, brauchen am meisten Hilfe », erklärt Hany. Während Monaten gingen Lara und ihre neunjährige Schwester Rana* von morgens bis abends den Strand und die staubigen Strassen entlang, um Aluminiumdosen zu sammeln, und unterbrachen ihre Suche nur, um schnell eine Mahlzeit hinunterzuschlingen.

« Es war ekelhaft und die Leute waren böse»

sagt Lara mit schüchterner Stimme. «Einmal habe ich mich verletzt, weil ich über eine Glasflasche gestolpert bin. » Ahlam*,ihre Mutter, knetet sich nervös die Hände. Sie erklärt, dass sie keine andere Wahl hatte, als die beiden kleinen Mädchen dieser strapaziösen Arbeit auszuliefern. Diese libanesische Familie mit fünf Kindern lebt in Al Nabaa in einer Zweizimmerwohnung mit einer winzigen Küche, am Ende einer engen löchrigen Gasse.

Seit 2019 kämpft Libanon laut der Weltbank mit « einem der drei schlimmsten wirtschaftlichen Einbrüche weltweit seit den 1850er Jahren », Der Sturz der Landeswährung führte beinahe zum Staatsbankrott und hatte eine Explosion der Inflation zur Folge, die die Kaufkraft der Haushalte auffrisst und die öffentlichen Dienste lahmlegt. Der Gesundheitssektor steht am Abgrund.Im Fall von Lara und ihrer Familie schnappte die Armutsfalle zu, als sich die Mutter Ahlam sechs Millionen libanesische Pfund leihen musste, um eine Fussinfektion zu behandeln, die nicht abklingen wollte. Wegen ihrer Schuldenlast konnte die Familie nicht mehr für ihre dringenden Ausgaben aufkommen.

Von der Strasse auf die Schulbank
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Lara, 11 Jahre alt, konnte wieder zur Schule gehen. In ihrem Viertel müssen viele Kinder noch arbeiten.

Der von Hany erarbeitete Unterstützungsplan half, etwas Druck wegzunehmen. Tdh gab der Familie Bargeldhilfe, um mehrere Mietrückstände zu begleichen, aber auch Lebensmittel und lebensnotwendige Güter zu kaufen. Die Kinder erhielten psychosoziale Unterstützung, die es ihnen erlaubte, ihren Stress in Worte zu fassen und ihre Rechte besser zu verstehen. Vor allem aber hat Hany die Eltern davon überzeugt, Lara wieder zur Schule zu schicken. Seit sie keine Dosen mehr sammelt, ist das Mädchen wieder aufgeweckt und erntet gute Noten.. « Ich werde Anwältin werden», prophezeit sie, den Kopf an die Schulter ihrer Mutter gelehnt. Ahlams Augen werden feucht: «ch selbst habe mit 14 Jahren die Schule abgebrochen und gleich für eine Druckerei zu arbeiten begonnen», sagt sie.

«Mein Traum ist es, dass meine Töchter ein besseres Leben haben als ich.
Dazu müssen sie zur Schule gehen.»

Unicef schätzte, dass im Libanon im Jahr 2021 mehr als 700’000 Kinder trotz einer Schulpflicht von 6 bis 15 Jahren nicht zur Schule gingen. Obwohl es keine offiziellen Erhebungen gibt, deutet alles darauf hin, dass sich die Situation weiter verschlechtert. «Wir stellen fest, dass immer mehr sehr junge Kinder, manchmal erst vier oder fünf Jahre alt, arbeiten. Es sind auch mehr Mädchen, und die Konkurrenz unter den Kindern wird härter », stellt Alice Hujairi fest, Leiterin der Kinderschutzprojekte bei Tdh in Beirut.

 

Von der Strasse auf die Schulbank
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TDie Tdh-Teams organisieren regelmäßig Aktivitäten, um Kinder, die auf der Straße arbeiten, über ihre Rechte zu informieren.

Damit gefährdete Kinder wenigstens einen Moment am Tag wieder ein Gefühl der Sicherheit empfinden können, hat Tdh im Libanon mehrere Drop-ins – Anlaufstellen für Strassenkinder – eingerichtet. Das Drop-in von Tyros im Südlibanon wird in einem Haus betrieben, das von einem grünen Garten umgeben ist und sich inmitten mehrerer Armenviertel der Stadt befindet. Zwischen 15 und 30 Kinder kommen jeden Tag hierher, um eine Kleinigkeit zu essen, saubere Kleider anzuziehen, sich auszuruhen, sich jemandem anzuvertrauen oder einfach nur Spass zu haben. « Unser Drop-in ist in Tyros sehr bekannt, wo es das einzige seiner Art ist. » sie fährt fort:

« Wir nehmen jedes Kind auf, das vorbeikommt, auch wenn wir unsere Kapazitäten überschritten haben, weil der Bedarf so gross ist.
Wir werden weitermachen, solange wir Geld haben, um unsere Projekte zu finanzieren. »

Fatima
Fatima
 
Ardat
Leiterin Kinderschutz im Libanon

«Ich versuche, durch Prävention einen Mentalitätswandel herbeizuführen. »

Zusammen gegen Kinderarbeit

Liban don

Ja, ich will einen Unterschied machen 

Eine Bildungsaktivität für ein Kind organisieren
Einem Kind Schulmaterial offerieren
Ein Kind und seine Familie während eines Monats psychosozial unterstützen

*Die Vornamen der Personen wurden geändert

Crédit photos: © Tdh

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