Das Leben von Kindern ist mehr wert als der Profit der multinationalen Konzerne

Les vies d’enfants valent plus que le profit des multinationales
23.10.2020

In Burkina Faso steigt Joseph, 13 Jahre alt, jeden Tag an einem Seil gefesselt, mit einer Lampe auf dem Kopf, ohne Helm und ohne Schuhe auf den Grund einer handwerklichen Mine hinab. Dreissig Meter unter der Erde ist die Luft so feucht und heiss, dass Joseph kaum atmen kann. In jedem Augenblick befürchtet er, dass ihn ein Erdrutsch verschüttet. Sicherheitsmassnahmen so wie angemessenen Ausrüstungen fehlen, die extrem gefährliche Art der Arbeit, die Dämpfe und das Einatmen von Staub verschlechtern die Gesundheit und Entwicklung von Kindern wie Joseph, die in Goldwaschanlage ausgebeutet werden. Um diese schrecklichen Bedingungen zu ertragen sind Kinder oft Alkohol- oder Drogenkonsum ausgesetzt; und sexuelle Ausbeutung ist weit verbreitet. Wie Joseph sind Hunderttausende von Kindern gezwungen zu arbeiten, um sich und ihre Familien zu ernähren. Auf der ganzen Welt werden gefährdete Bevölkerungsgruppen zum Nutzen von Industrien ausgebeutet, deren skandalöse Arbeitsbedingungen das Leben und die Ökosysteme ganzer Regionen zerstören und gefährden.

Die Verantwortung der multinationalen Konzerne für die verursachten Schäden ist in der Schweiz nicht gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Sie hängt allein von ihrer freiwilligen Verpflichtung der Konzerne zur Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards ab; im Fall von Verstössen werden sie nicht zur Verantwortung gezogen. Offensichtlich ist diese freiwillige Verpflichtung weitgehend unzureichend. Viele Länder haben bereits Regelungen in diesem Bereich eingeführt. Deswegen birgt die derzeitige Gesetzlücke in der Schweiz die Gefahr, dass Unternehmen von dieser Grauzone angezogen werden, um ihre verdächtigen Aktivitäten fortzusetzen. Zudem hat die Schweiz die Kinderrechtskonvention von 1989 ratifiziert und ist daher verpflichtet, Kinder vor allen Formen der Ausbeutung zu schützen, die ihrem Wohlergehen abträglich sind.

Als Kinderhilfsorganisation ist es unsere Pflicht, diese unerträglichen Arbeitsbedingungen anzuprangern. Ausgebeutete Kinder sind ungebildete Kinder in unwürdigen Lebensumständen. Sie repräsentieren die nächste Generation, die unsere zukünftige Gesellschaft schaffen soll. Jedoch wird ihnen der Zugang zu ihren Grundrechten eingeschränkt. Obwohl nicht alle Industrien Kinder ausbeuten, haben viele davon einen extrem schädlichen indirekten Einfluss auf sie. Die Löhne sind manchmal so niedrig, dass Eltern wegen Finanzmangel gezwungen sind, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wenn das Kind autonom genug ist, begibt es sich seinerseits in die Kanäle der Ausbeutung; ist es zu jung, wird es in einem potenziell gefährlichen Umfeld ohne Aufmerksamkeit und ohne Erziehung sich selbst überlassen. Es handelt sich um einen wahren Teufelskreis, der diese Bevölkerungsgruppen in eine zunehmend prekäre Lage stürzt.

Die Konzernverantwortungsinitiative trägt nicht nur zur Beseitigung chronischer Armut in einigen Ländern bei, sondern bezieht alle Beteiligten in einen positiven Kreislauf ein. Multinationale Unternehmen, die sich der Initiative anschliessen, positionieren sich als Pionier des Wandels und verbessern ihr Image erheblich. Dies wird ein Wettbewerbsvorteil sein, der die Verbraucher ansprechen wird, die in Bezug auf ethische Produktionsweisen immer anspruchsvoller werden. Die Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen und Partnern wird umso mehr geschätzt. Die Gefahr eines Medienskandals wegen schlechten menschlichen oder ökologischen Arbeitsbedingungen, der für die Reputation eines Unternehmens verhängnisvoll sein könnte, wird mit der Anwendung dieser neuen Standards verschwinden.

Wir leben in einer entscheidenden Zeit voller Ungewissheit für die Zukunft unseres Planeten. Diese Initiative kann den notwendigen Paradigmenwechsel einleiten, indem multinationale Konzerne, die ihren Profit höher schätzen als die katastrophalen Auswirkungen, die sie hinterlassen, gemässigt werden. Wir rufen zur Solidarität und Unterstützung auf: Hunderte von Millionen von Kindern und ihre Familien können ihre Lebensqualität verbessern, wenn wir die Konzernverantwortungsinitiative annehmen.

- Barbara Hintermann, Geschäftsführerin von Terre des hommes, spricht sich in Le Temps für die Konzernverantwortungsinitiative aus.

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