Raffaele Angiulli,
ehemaliger Präsident der Freiwilligengruppe Zürich
Einsatz für die Schwächsten der Welt
Raffaele Angiulli begab sich als Tdh-Freiwilliger auf eine emotionale Reise in die Karibik.
Vor knapp sechs Jahren erschütterte ein fürchterliches Erdbeben Haiti. Raffaele Angiulli - Jugi-Leiter beim Turnverein Brüttisellen und Coca-Cola-Angestellter – verfolgte in seiner Funktion als damaliger Präsident der Terre des hommes Freiwilligengruppe Zürich auf einer emotionalen Reise ins mausarme Karibikland den Fluss der Spendengelder.
Die politisch und konfessionell unabhängige Kinderhilfsorganisation Terre des hommes leistet Nothilfe, wo sie benötigt wird und ist in über 30 Ländern mit Entwicklungsprojekten vertreten. So auch seit 1989 in Haiti, wo sie hungernden und anderen notleidenden Kindern und ihren Angehörigen hilft. Um sich selbst ein Bild von den langfristig und mit Spendengeldern angelegten Hilfsprojekten des Vereins vor Ort machen zu können, reiste Raffaele Angiulli 2017 mit einer Terre des hommes-Delegation in seinen Ferien und auf eigene Kosten auf die Karibikinsel.
Kulturschock in Haiti
«Die Projektreise war echt ein Kulturschock. Die vielen Eindrücke zu verkraften, war vor allem nach der Rückkehr im Oktober kein einfaches Unterfangen für mich», gibt der 34-jährige Coca-Cola-Project-Manager, ein Bär von einem Mann, unumwunden zu. Als Jugi-Leiter beim Turnverein Brüttisellen sei er es sich gewohnt, Kinder lachend und spielend zu sehen. In Haiti regiere aber der tägliche Kampf ums Überleben. Die Hauptstadt Port-au-Prince mit seinen Slums werde punkto Gefährlichkeit weltweit nur noch von Bagdad übertroffen. Entführungen und Lösegeldforderungen von sogenannt Wohlhabenden seien praktisch an der Tagesordnung. Diese bedrohlichen Umstände seien bei der Besichtigung der einzelnen Projekte für die insgesamt acht Freiwilligenpräsidenten aus der Schweiz schwierig gewesen.
Traurige Begegnungen
«In einer von Terre des hommes betriebenen Ernährungsabteilung eines Spitals, wo bisher schon Tausende von Kindern, die an Mangelernährung litten, gerettet werden konnten, habe ich einen erst etwa vier Monate alten Jungen entdeckt. Sein kleiner Körper war abgemagert. Eine Krankenschwester erklärte, dass die Mutter des kleinen Rene gestorben sei und der Vater ihn hergebracht habe mit der Frage, ob er sein Kind zur Adoption freigeben könne», erklärt Angiulli gerührt. Rene sei kein Einzelfall, es komme in jenem Spital häufig vor, dass Angehörige Kinder zu einer Untersuchung vorbei bringen und dann unter einem Vorwand, zum Beispiel Wasser kaufen zu wollen, weggehen würden - und nie mehr wieder zurückkommen.
700 Waisenhäuser
Schon vor dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010, bei dem über 300‘000 (!) Leute ihr Leben verloren und nochmals so viele verletzt wurden, war Haiti eines der ärmsten Länder der Welt. Nach dem Beben stieg die Anzahl der Kinder in den rund 700 Waisenhäuser des Landes auf 30‘000 an. Dank Terre des hommes und anderen Hilfsorganisationen konnten die Zustände in diesen Waisenhäusern seit der Naturkatastrophe mit Spendengeldern nachhaltig verbessert werden. Trotzdem seien die immensen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme an jeder Ecke augenfällig. «Das Big House, das erste Zentrum, welches wir unterstützen und besuchten, umfasst ein Waisenhaus und eine Schule. Unter der Leitung eines evangelischen Pfarrers werden hier 140 Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren betreut, von denen rund 70 im Waisenhaus wohnen. Wir sahen die Kids in ihren gelben Schuluniformen im Klassenzimmer. Eine gute Sache», präzisiert Raffaele Angiulli und fügt an, dass es trotz den Bemühungen von Terre des hommes aber an Personal fehle. Ihm sei es wichtig zu erwähnen, dass eben «die Hilfe zur Selbsthilfe» langfristig betrachtet am meisten bringe auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Es genüge nicht, den Kindern einfach täglich zu essen zu geben. Bildung sei wichtig, damit die Kinder später einen Beruf fürs Leben erlernen könnten.
Mädchen auf der Strasse
Eindrücklich sei auch der Besuch bei der lokalen Vereinigung Sofalam gewesen. Diese setze sich seit 2002 für die gesellschaftliche Wiedereingliederung von auf der Strasse lebenden Mädchen ein. Seit knapp zwei Jahren unterstütze Terre des hommes die Bemühungen, diese Mädchen und Jugendlichen zu rehabilitieren, die, um auf der Strasse überleben zu können, zum Grossteil keinen anderen Ausweg sahen als die Prostitution.
Beitrag für mehr Menschlichkeit
Mit einem Gesamtbudget von etwas über 2,3 Millionen, Franken unterstützten heuer 85 Angestellte (darunter 82 Einheimische) von Terre des hommes an drei Standorten in Haiti rund 30‘000 Kinder, Familien und Gemeindemitglieder. «86 Prozent der Gelder fliessen direkt in diese Projekte. Nur 14 Prozent wird für die Verwaltung ausgegeben», berichtet Angiulli. «Jeder gespendete Franken zählt und kann vor Ort enorm viel ausrichten, wie ich selbst in der feuchten Hitze in Haiti erlebt habe.» Seit er zurück ist, habe er nochmals realisiert, wie privilegiert man in der Schweiz sei. Sein freiwilliges Engagement für Terre des hommes in seiner Freizeit sieht er als sein persönlicher Beitrag für mehr Menschlichkeit. Vielleicht lohnt es sich, auf das eine oder andere unnütze Weihnachtsgeschenk zu verzichten, um sich mit einer Spende seinen Bemühungen anzuschliessen.